Lexikalische Begriffsbestimmung: UTILITARISMUS

Der U. definiert als Ziel sittlichen Handelns den Nutzen, sei es des Einzelnen (Individualist. U.), sei es der Gesellschaft (Sozialeudämonismus) und sieht im Prinzip der Nützlichkeit das einzige und höchste Beurteilungskriterium der Moral und des Rechts.

Der Schwerpunkt der Lehre findet sich im angelsächsischen Denken des 18. u. 19. Jh. F. Hutcheson, J. Priestley und auch C.A. Helveticus und C. Beccaria sprechen von dem "größten Glück der größten Zahl" beizutragen. Damit wird aber auch die Nütz-lichkeit vom Glück (auch Lust) her definiert. Als eigentlicher Begründer dieser sozialphilosophi-schen Lehre tritt Bentham auf. Er versucht Ethik und Politik, Gesetzgebung und Verwaltung zu empirisch verifizierbaren und rational kalkulierbaren Wissen-schaften zu machen. Sein Nutzen-(Glücks-)Kalkül verbindet empirische mit mathematischen Elementen. Er verbindet auch Nützlichkeit und Lust zu einer hedonistischen Anthropologie, die im Marxismus und in der Idee des Wohlfahrtsstaates nachwirkt. Der junge Karl Marx meinte mittels eines normativen Begriffes des Nutzens verliere, nach der Aufhebung des Privateigentums im Kommunismus, der Genuß seine egoistische Natur und die Natur ihre bloße Nützlichkeit, und der Nutzen werde zum menschlichen Nutzen.

Die utilitaristisch-ökonomische Tradition ist zunächst mit J. St. Mill und Karl Marx verbunden und findet in der Grenznutzenschule - ausgehend vom Mathematiker D. Bernoulli (mögliche Gesetzmäßig-keit bei Glücksspielen)- seinen wirkungsgeschichtli-chen Höhe-punkt. Bis heute aber fehlt im utilitaristisch-öko-nomischen Denken eine reflexive Beziehung zu den individuellen Nutzen-Vorstellungen; und der zahlenmäßig gemessene Begriff ist letztlich selbst noch unklar. Während Nietzsche die Moral aus dem sozialen Nutzen herleitet, wendet sich M. Scheler in seiner Rangordnung der Werte gegen die Überbewertung des Nutzens. Er findet, daß im modernen Kapitalismus die nützliche Arbeit dem Genuß des Angenehmen vorgezogen werde (moderner Asketismus), was bloß zu einer Anhäufung angenehmer Dinge, bei einer Minimierung des Genußes führe.

Im angelsächsischen Raum unterscheiden wir heute zwei Schulen: Die eine geht auf H. Sidgwick zurück, den letzten maßgebenden Vertreter des traditionellen U., mit Betonung der Intuition, die andere rationalistische util. Schule findet seinen Sprecher in J.M. Robertson, in dessen System aber der logische Platz für eine moralische Verpflichtung fehlt.

Die phil. Idee des U. wird getragen von der Wissen-schafts- und Fortschrittsgläubigkeit der französischen und britischen Aufklärung. Aufgrund der utili-taristischen Anthropologie wird Ethik auf sozialen Nutzen reduziert und mündet meist im Materialismus. Die util. Theorie der Ethik ist schwach, aber als Prinzip der politischen Tätigkeit beweist der U. einen praktischen Wert.

Lit.: Bentham, Jeremy: An introduction to the Principles of Morals and Legislation (London 1789) hg. Burns, J.H./Hart, H.L.A. (London 1970). - Mill, J. St.: Utilitarianism (London 1863), dtsch hg. Birnbacher, D.: (1976). - Robertson, J.M.: A short History of Morals (London 1920) - Sidgwick , H.: Outlines of the History of Ethics (London 1946). - Scheler, M: Vom Umsturz der Werte. Ges. Werke, hg. M. Scheler (19554) und Scheler; M: Der Formalismus und die materiale Wertethik. Ges. Werke 2 (Bern 19544).

Heinz Husslik