Lexikalische Begriffsbestimmung: PERSON

1. Das lat. Wort persona ist die Übersetzung von griech. prosopon und bedeutet Antlitz, Maske, (Sprecher) Rolle etc. Die ursprüngliche Bedeutung ist "soziale Rolle", "amtlicher Charakter" eines Menschen, nicht aber das Individuum. Das Christentum greift schon frühzeitig den Begriff der P. auf, um damit das Verhältnis von Gott-Vater, Gott-Sohn und Gott-Hl. Geist zu thematisieren, das schon in der Taufformel (Mt 28, 19) angesprochen wird. Tertullian (um 200 n. Chr.) wurde Wegbereiter für die Formel "tres personae una substantia". Von den kappadokischen Theologen und in eingeschränkter Weise von Augustinus (354-430) wurde das relationale Verhältnis (d.h. ohne Subordination) der drei P.en betont. - Im 5./6.Jh. wird im Begriff der P. verstärkt das Verhältnis Gott-Mensch in Christus, zunächst bei Apollinaris von Laodikeia (um 310 - um 390), reflektiert.

1.1. Auf Grund der Widersprüchlichkeit in Bezug auf die Einheit (substantia) der P. betont die alexandrin. Theologie die Einheit (Göttlichkeit) Christi und die antiochen. Theologie (Nestorius) den Diophysitismus, was in logischer Konsequenz zu zwei P.en in Christus führte. Erst Theodorus von Mopsuestia (um 350-428) entwickelte die Lehre von zwei Naturen in einer P. Der trinitarische und christologische Fragenkomplex führt immer auch gleichzeitig zur Reflexion über das Sosein der menschlichen P., so dass P. zu einem zentralen Begriff der christl. Anthropologie wird. Geschichtsmächtig wurde die P.-Definition des Boethius (um 480-524) "persona est naturae rationalis individua substantia" (P. ist der unteilbare Selbstand eines geistigen Wesens).

1.2. In der Hoch- und Spät-Scholastik wird die P. in ihrer Vernunftnatur, Individualität und Substantialität (seit Boethius), Relationalität, Nichtmitteilbarkeit Q.Duns Scotus), Subsistenz und Existenz (Richard von St. Viktor) und Würde, die auf Moral gründet (Alexander von Hales), gesehen. P. wird nicht als Wesensbegriff verstanden, sondern zwischen Gattungs- und Artbegriff positioniert (als "unmittelbar wirkliches Selbstdasein"), so daß keine kategoriale Bestimmung möglich ist, und letztlich als inkommunikabel definiert; d. h.: was P. ist, kann nur am konkreten Individuum abgelesen werden (Bonaventura). Die P., als subsistierendes Individuum, gilt im Erkennen und Wollen als frei zur Wahrheit (Thomas von Aquin).

1.3. Im Gegensatz zur scholastischen Ontologie führt M. Luther (1483-1546) das subjektiv-existentielle Verständnis der P. ein. Die "Spekulation" tritt zurück, die P. wird in den Heilszusammenhang gestellt und darin ihre Abhängigkeit von Gott betont. 2. Die im MA religiös bestimmte Geistnatur der P. wird in der Neuzeit säkularisiert und zunehmend als Selbstbewußtsein in- terpretiert.

2.1. R. Descartes' (1596-1650) Dualismus fließt in den P.begriff ein mit der höheren Bewertung der res cogitans; für das denkende Ich wird das mit der Substanz vereinigte Subjekt konstitutiv. Im angelsächs. Denken erweitert Th. Hobbes (1588-1679) den Begriff der P. um die Bedeutung der auf ihren Willen basierenden Handlungsaktivitäten und erreicht damit die Trennung vom Begriff des Individuums (die Rechts-P.). Gleichzeitig tritt eine spirituelle Einengung der P. auf das Selbstbewußtsein ein, das konstitutiv für die Identität der P. wird Q. Locke, G.W. Leibniz).

2.2. Damit ist die P. keine zur Vollkommenheit führende vorausliegende Bestimmung des Menschen mehr (Th. v. Aquin, 3 Sent. 6, 1, 1), sondern das Ergebnis eines subjektiven Prozesses. Letztlich gibt D. Hume (1711-1776) den Substanzbegriff ganz auf.

3. Eine syst. Neubestimmung beginnt mit I. Kant (1724-1804). Er macht deutlich, daß der Begriff der P. nicht durch die theoretische Vernunft bestimmt werden kann. Kant sieht die P. sowohl in ihrer Zugehörigkeit zur Natur- und Sinnenwelt (Triebkraft) als auch in der der intelligiblen Welt (d.h. vernunftorientiert zu handeln). Durch das moralische Gesetz (d.h. sich selbst zu bestimmen) wird die P. sowohl Triebfeder als auch Gegenstand der Freiheit. Da somit P.en vernünftige Wesen genannt werden, dürfen sie nicht als Mittel zum Zweck, sondern immer nur als Selbst- zweck betrachtet werden (Kategorischer Imperativ).

3.1. J. G. Fichte (1762-1814) weist die apriorische Struktur der interpersonalen Bezüge auf, indem er zeigt, daß das Ich-Bewußtsein nur durch Aufforderung zum Handeln, die von einer anderen P. ausgehen muß, entstehen kann. P.en stehen einander nur infolge ihrer Leiblichkeit gegenüber, die Voraussetzung für freies Handeln in der Sinnenwelt ist. Er postuliert die "Fortsetzung des Einen und Selben Lebens in alle Ewigkeit" (Nachgelassene Werke, hg. von I. H. Fichte, 1834f, 3, 55 f).

3.2. Bei G. W. F. Hegel (1770-1831) bestimmt sich die P. von der Freiheit her, um ihr Für-sich-sein hervortreten zu lassen. Dies erfordert eine wechselseitige Anerkennung, die zur Selbständigkeit führt. Das Prinzip der Anerkennung erscheint bei Hegel als das Bewegungsmoment in der Geschichte des Bewußtseins.

3.3. Die "allgemeinen Charaktere der P." sieht F. W.J. Schelling (1775-1854) im Leben, der Freiheit und der schaffenden Kraft, Charaktere, die im höchsten Maße Gott eigen seien. So wendet er sich gegen einen abstrakten, "unpersönlichen" Gott und sieht in ihm die höchste Persönlichkeit. Schellings Spätphilosophie kreist um die Frage des Urgrundes im "Absoluten" und der P.haftigkeit Gottes einerseits und des Hervorgangs der Natur und des Geistes andererseits.

4. Die ma. Nichtdefinierbarkeit wird im 20. Jh. ausgeweitet durch das ins Zentrum rückende Thema von der Übergegenständlichkeit der P. (M. Scheler). Die Selbsterfahrung des naturwiss. Daseinsverständnisses, in dem allein die Subjekt- Objekt-Beziehung herrscht, findet seine Befreiung im P.alismus (E. Husserl, R. Guardini). Als Titel für ein philos. System erscheint dieser zuerst 1903 bei Ch. Renouvier (1815-1903), der einen personalistisch umgeformten Pragmatismus vertritt. Der P.alismus sieht den Menschen nicht nur als selbstbewußtes Wesen, sondern als liebende, wertende, sich verantwortende und handelnde P. Dabei wird insbesondere ihr Vollzug beachtet, durch den sie erst ganz sie selbst ist. Für die einmalige und einzigartige P. wesentlich ist die Ich-Du-Beziehung (M.Buber) oder dialogische Existenz, die sich durch die anderen endlichen P.en bis zu dem personalen Gott hinspannt. Das Subjekt wandelt sich in der Begegnung von Ich und Du zur P. (F. Rosenzweig). Wie die P. die Differenz von Ich und Leib umgreift, ist sie auch zur Solidarität mit den anderen P.en aus Mitverantwortung berufen (M. Scheler:Verantwortung). Die Sachbeziehung des Menschen erscheint als Teilverwirklichung - der Identität - der P. Die Dinge dienen der P. nur als Mittel. Die "Realkategorie" P. (N. Hartmann) hat ein Wertbewußtsein und eine Freiheit und ist niemals bloßes Ich-Subjekt (G. Marcel).

4.1. Der P.alismus ist vornehmlich in drei Gestalten hervorgetreten: in den USA als eine Form des Pragmatismus (erstmals Bonne: Personalism 1908, Brightman, Hocking, Flewelling), in Deutschland als psych.-päd. Lehre (Stern: P. und Sache 1906- 1924, auch kritischer P.alismus), in Frankreich als Nebenströmung des christl. Existentialismus (Mounier, Le Senne, auch Berdjajew; Existenzphilosophie).

4.2. In der analytischen Philosophie versuchen G. Ryle und P. F. Strawson in sprachanalytischen Prädikatsuntersuchungen den Begriff der P. näher zu bestimmen. Weitergeführt wurde der analytische P.begriff von B. Williams und H. G. Frankfurt mit der Betonung der Willenshandlungen, die auf Wünschen beruhen. In der Nähe von J. Lockes (1632- 1704) moralischem Begriff einer P. wird bei D. C. Dennett und D. Parfit das Problem der Identität einer P. im Hinblick auf deren Kontinuitätsproblematik diskutiert.

Lit.: Langemeyer, B.: Der dialogische P.alismus in d. ev. u. kath. Theologie d. Gegenwart, Paderborn 1963 - Mader, J.: Die logische Struktur d. personalen Denkens, Wien 1965 - Joest, W.: Ontologie d. P. bei Luther, Göttingen 1970 - Baumgartner, H.M.Wild, Ch. (Hgg.): Hb. philos. Grundbegriffe, Bd. 4, München 1973 - Art. P., HWP Bd. 7 (1989) 269-338 (verschiedene Vf.).

Heinz Husslik